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Blutdurst

Erste 5 Seiten – Kostenlose Vorschau

Vom Wasserfall von Nimrodel in die Schatten der Ewigkeit.

Sie war einst eine scheue Waldelbin, die lieber sang, tanzte und das Rauschen der Wasser liebte, als den endlosen Kriegen ihrer Völker zu folgen. Doch Liebe und Verlust warfen sie in die Hände des Hexenkönigs – und machten sie zu etwas Neuem: der ersten Vampirin Mittelerdes.

Zwischen Folter und Verführung, Trauer und Blutdurst, findet sie ihre Bestimmung: als Schattenwesen, das Rache nimmt an Elben, Menschen und allen, die für den ewigen Krieg verantwortlich sind. Jahrtausende später wandelt sie noch immer unter den Menschen, als Dämonin, Muse, Mythos – Lilith, Werwolf, Ewiger Jude. Immer wieder spinnt sie neue Legenden, um ihre Kinder der Nacht zu schützen.

Doch tief in ihr lebt die Erinnerung an ihre große Liebe – und die Erkenntnis, dass selbst nach Jahrhunderten des Mordens ein Teil von ihr noch nach Liedern, Poesie und Trost verlangt.

Ein epischer Roman voller Dunkelheit, Sehnsucht und Mythos – die Geschichte der Vampirin, die Mittelerde überdauerte.

Seite 1

Der Durst war unbeschreiblich. Er quälte sie bereits so lange, dass sie jedes Zeitgefühl verloren hatte. In unregelmäßigen Zeitabständen standen in ihrer Zelle Krüge mit Flüssigkeiten – Wasser, Wein, Fruchtsäfte –, doch wenn sie etwas zu trinken versuchte, überkam sie ein unwiderstehlicher Ekel, ein Brechreiz, der ihr die Galle durch Mund und Nase heraus trieb und sie zwang, sich schmerzerfüllt am Boden zu wälzen. In den Phasen dazwischen versuchte sie, sich in ihre Erinnerungen zu flüchten, aber selbst das gelang ihr nur selten.
 
Sie war so glücklich gewesen. Endlich, nach vielen Jahrhunderten, hatte sich der Geliebte entschlossen, ihrem Drängen nachzugeben. Stets hatte sie sich ihm verweigert, so sehr sie ihn auch begehrte. Sie ertrug es nicht, dieses ewige Kämpfen, den Krieg, die Schlachten. Als König von Lórinand, des »Blumen-Traumlandes«, war er seit vielen Jahrhunderten an maßgeblicher Stelle am Krieg gegen die Dunklen Horden beteiligt. Und sie wollte mit keinem jener Elben etwas zu tun haben, denen sie die Schuld an den dauernden Kriegen gab. Aber in ihn hatte sie sich verliebt, sich nach ihm gesehnt mit jeder Faser ihres Körpers, jedem Teil ihres Geistes, ihrer Seele. Und doch hatte sie ihm nicht nachgegeben – bis er nachgegeben hatte, sich entschlossen hatte, mit ihr gemeinsam Mittelerde zu verlassen.
 
Wie lange sie schon im Dunkeln gelegen hatte, wusste sie nicht. Ihre Augen wurden jeden Tag mit einer brennenden Substanz eingerieben, die ihr stundenlang die Tränen die Wangen hinabrollen ließ. Doch mit jedem Tag war das Brennen etwas weniger stark gewesen, und heute hatte sie zum ersten Mal gar keinen Schmerz bei der Prozedur verspürt. Wie immer in den letzten Monaten hatte sie sie über sich ergehen lassen, ohne sich zu wehren. Die ersten Male hatte sie es versucht, sich gesträubt, gekämpft mit all ihrer Kraft. Doch das Ergebnis was stets das Gleiche gewesen. Man hatte sie zusammengeschlagen, bis zur Bewusstlosigkeit. Irgendwann hatte sie die Gegenwehr aufgegeben.
 

Seite 2

Gegen das Ansinnen ihres Geliebten, sie zu ehelichen, hatte sie die Gegenwehr bis zu seinem Nachgeben aufrecht erhalten. Auch wenn er, der mächtige, schöne und kunstsinnige Elbenkönig, wohl fast jede Elbin hätte zur Gattin haben können, hatte er sich für sie entschieden, die scheue Waldelbin, die »Herrin der Weißen Grotte«, wie man sie nannte, die kaum einmal unter anderen Elben anzutreffen war. Am liebsten hielt sie sich mit ihrem Gefolge an jenem Wasserfall auf, den man, wie den Fluss darunter, nach ihr benannt hatte: am Nimrodel. Wenn es ihr gut ging und sie für einige Zeit das Schlachten und den Krieg vergessen konnte, sang sie und tanzte und war fröhlich mit ihren Gefährtinnen. Von den Hochelben aber hielt sie sich fern, denn diese waren in ihren Augen nicht weniger schuldig an den Kämpfen und Metzeleien als der ominöse dunkle Herrscher, von dem niemand genau wusste, wo er sich aufhielt und wie mächtig er war, und sein Vasall oder vielleicht auch Nachfolger, der Hexenkönig von Angmar.
 
Wie immer, wenn die Tür aufging, krümmte sie sich zusammen, voller Angst, was man ihr nun wieder antun würde. Dabei war es in letzter Zeit gar nicht so schlimm gewesen: keine Schläge mehr, keine Folter mit ausgerissenen Fuß- und Fingernägeln, ausgeschlagenen Zähnen oder in Streifen abgezogener Haut. Das Schlimmste war gewesen, dass sie dies immer wieder hatten tun können. Irgendetwas in der roten dickflüssigen Pampe, mit der sie sie fütterten, sorgte dafür, dass ihre Wunden in kürzester Zeit heilten. Und das Trinken dieses Nahrungsbreis zu verweigern, wurde wie jede andere Gegenwehr gnadenlos unterbunden und bestraft. Sie hatte das schon lange aufgegeben.
Sie blinzelte erstaunt. Irgendetwas war anders als sonst. Noch nie hatte sie hier etwas gesehen, nie auch nur einen Schimmer von Licht wahrgenommen. Ihre Peiniger waren unsichtbare, riesenhafte und grausame Gestalten ge­wesen. Doch nun, zum ersten Mal, seit sie hier war, konnte sie einen Schimmer erkennen, der von der geöffneten Tür ausging. Dort war die Dunkelheit nahezu so undurchdringlich wie in ihrer Zelle, doch eben nur nahezu. Und während sie vor Erstaunen darüber, diesen Unterschied wahrnehmen zu können, nach Luft schnappte, hörte sie den dunklen Schatten, der sich von der Schwärze in der Türöffnung abhob, sagen: »Bald bist du bereit.«
 
Sie hatten vorgehabt, von Edhellond aus nach Aman zu fahren, Mittel­erde für immer hinter sich zu lassen, den Krieg, das Leiden, die Irren und Wirren des elbischen Lebens in dieser Welt, die immer mehr beherrscht wurde von dunklen Mächten, in der auch die, die glaubten oder vorgaben, auf Seiten des Guten zu kämpfen, immer wieder und immer mehr verführt wurden und oft zu Mitteln griffen, die sich nicht allzusehr von denen jener unterschieden, gegen die sie kämpften. Sie wollten sich all dem entziehen, ihr Glück finden auf der Insel der Mächtigen. Doch auf dem Weg von Fangorn nach Belfalas, zu jenem kleinem Elbenhafen Edhellond, wurden sie getrennt.

Seite 3

 
Die Stimme klang nicht unangenehm. Sie hatte etwas Hypnotisches, Machtvolles, Beruhigendes. Der Schatten, von dem sie ausging, den sie mehr erahnte als sah, war groß, weitaus größer als jedes der Wesen, die sie hier versorgt und gequält hatten. Diese hatten bei all dem keinen Laut von sich gegeben, sie nur mit unbarmherziger Härte und Kraft misshandelt, wobei dieses Verhalten immer mehr einer gleichgültigen Be- als Misshandlung gewichen war, je weniger sie sich gewehrt hatte. Nie hatte jemand mit ihr gesprochen, seit sie in Gefangenschaft geraten war, mit einer Ausnahme: als man sie gezwungen hatte, zuzuschauen, wie es ihrem Geliebten erging.
 
Sie hatten ihr Lager auf einer geschützten Lichtung aufgeschlagen, wenige Tagesreisen von ihrem Ziel entfernt. Ihr Geliebter war mit großem Gefolge gereist, den Besten aus der königlichen Garde, mit genügend Kampfkraft, um eine sichere Reise zum Hafen zu gewähr­leisten. Sie selbst war alleine; sie hatte ihr Gefolge aus ihrem Dienst entlassen, ehe sie nach jenem entsetzlichen Aufruhr in Moria, als die Zwerge zu tief gegraben und den Balrog geweckt hatten, nach Fangorn geflohen war, wo ihr Geliebter sie Monate später gefunden hatte.
In der Nähe hatte es einen Bachlauf gegeben mit einem kleinen Wasser­fall, der sie an die heimatlichen Fälle erinnert hatte. Nach der Abendmahlzeit war sie dorthin gegangen, um ein wenig auszuruhen von der Anstrengung, so lange mit so vielen ihresgleichen zusammen zu sein. Die meiste Zeit ihres langen Lebens hatte sie alleine verbracht, mit den Klängen des Wassers, diese häufig mit ihrem Gesang begleitend.
Natürlich war es nicht sehr klug gewesen, alleine durch den Wald zu streifen, in einer Region, die seit Jahren verheert wurde von Überfällen und Scharmützeln. Dies hier war Menschenland. Earnil II. von Gondor regierte nun seit über drei Jahrzehnten, für einen Menschen eine lange Zeit, nicht aber für einen wie ihn, einen Mann aus dem alten Geschlecht. Er war ein hervorragender Herrführer, ein kluger und weiser Mann, ein großer König. Doch auch er konnte weder für Frieden noch für Sicherheit in seinem Land sorgen, hatte nicht verhindern können, dass einige Jahre zuvor Arthedain, das letzte Teilreich von Arnor, gefallen war. Zwar war es ihm und seinem Sohn gemeinsam mit den verbündeten Elben gelungen, den Hexenkönig von Angmar zu besiegen und zu vertreiben. Doch von Mordor aus, seiner neuen Bastion, schickte dieser Scharen von Orks und anderen dunklen Gestalten, um in und um Gondor für Unruhe zu sorgen. Nein, klug war es nicht gewesen, in dieser Gegend alleine durch den Wald zu streifen.

Seite 4

Die Bande von Orks, die sie gefangen nahm, tat dies mit einer solchen Lautlosigkeit und einem solchen Geschick, dass dahinter ein Plan stecken musste, ein klügerer Kopf als der eines einfachen Ork­anführers; das wurde ihr schnell klar. Und dass man sie nicht einfach verschleppte, sondern, verpackt in undurchdringliche Häute, durch die Luft davontrug, machte ihr schnell klar, dass ihr Entführer ein mächtiges Wesen sein musste.
 
Sie versuchte, ihre trockenen Lippen zu befeuchten, doch ihre ausgedörrte Zunge war dazu nicht in der Lage. Als sie sprach, kam nur ein Krächzen aus ihrem Mund: »Bereit wozu?«
Schon lange war ihr klar geworden, dass man sie auf etwas vorbereitete, sie für etwas einsetzen wollte. Sonst hätte man sie sicher längst getötet. Doch als Geißel oder im Austausch gegen Lösegeld war sie nutzlos. Sie war für niemanden etwas wert – war es niemals gewesen, außer für ihren Geliebten, den sie hatte sterben sehen.
»Bereit wozu?«, krächzte sie noch einmal.
»Deine Fähigkeiten wachsen. Bald wirst du in der Lage sein, uns zu dienen und Rache zu nehmen an den Angehörigen deines Volkes für den Tod deines Verlobten. Denn dir ist doch wohl klar, dass es sein eigenes Volk war, das ihn in den Tod trieb, das mit diesem unsinnigen Krieg so viel Leid und Tod über deinesgleichen und auch über ihn gebracht hat!«

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Sie konnte nicht mehr klar denken. Hatte er nicht recht? War es nicht wirklich immer so gewesen, dass er abgewehrt hatte, wenn sie ihm Vorwürfe machte, weil wieder Schlachten geschlagen, Metzeleien verübt, Unschuldige gemeuchelt worden waren? Hätte es nicht in seiner Macht als einer der Elbenherrscher gestanden, dem Allem ein Ende zu setzen? Und sprach er nicht immer von der Verpflichtung gegenüber seinem Volk, den Zwängen, denen er unterläge, weil und solange er die Herrschaft ausübe? Waren also nicht wirklich die Hochelben daran schuld, dass und wie er jämmerlich umgekommen war?
Wie genau sie sich noch daran erinnerte ...
 
Sie wusste nicht, wie viele Tage oder Wochen sie schon in Gefangenschaft verbracht hatte. Gequält, ins Dunkel gesperrt, von Durst geplagt. Eines Tages hatte man sie unsanft von ihrem Lager gerissen, sie geknebelt, ihr einen Sack über den Kopf gestülpt, Hände und Füße gebunden und, über die Schulter eines Orks oder eines ähnlichen Wesens geworfen, stundenlang durch die Gegend getragen. Zwischendurch wurde sie auf einen Tierrücken gebunden und durch die Luft getragen, wie weit, konnte sie nicht einmal erahnen.
Als man sie unsanft auf die Füße stellte, musste man sie erst stützen, sonst wäre sie gefallen. Man riss ihr den Sack vom Kopf, und eine rauhe Stimme hinter ihr befahl: »Sieh!«
Und sie sah. Ihre Augen brannten, obwohl es noch nicht hell war am frühen Morgen und bewölkt. Doch das Dämmerlicht schmerzte in ihren Augen, als sie den Blick langsam hob. Zunächst erschrak sie über den Anblick ihrer eigenen nackten Haut; wo diese bloß lag, fing sie schon im matten Licht des Morgens an zu schmerzen und Blasen zu werfen. Schnell zog sie den Sack um sich, als Schutz vor der Sonne wie auch den Blicken jener Wesen, die sie hinter sich nur erahnen konnte, und nicht zuletzt vor dem Sturm, der selbst hier, in einer geschützten Höhle weit über dem Strand, kräftig zu spüren war Dann erkannte sie die vor ihr liegende Gegend.

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