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Wintergeschichte

First 5 pages – Free Preview

Morde im Netz der Zukunft – Verbrechen zwischen Mensch und Maschine.

Deutschland im Jahr 2049: Männer werden brutal ermordet – ihre letzte Spur führt zu virtuellen Dates mit makellosen Schönheiten. Kommissarin Melanie Winter stößt auf eine Täterin, die mit Hightech-Kosmetik ihre Identität verschleiert und ihre Opfer gezielt auswählt. Doch die Serie ist nur der Anfang.

Von manipulierten Gleichgewichtsorganen über Androiden-Doppelgänger bis hin zu einer KI, die ganze Handelsrouten bedroht – immer wieder sieht sich Winter mit Verbrechen konfrontiert, die nur im Zusammenspiel von Mensch, Technologie und Macht möglich sind. Als Profilerin, IT-Expertin und schließlich Teil der KI-Reaktionstruppe von Interpol kämpft sie an der Frontlinie einer Welt, in der Grenzen zwischen real und virtuell, menschlich und künstlich immer mehr verschwimmen.

Ein packender Thriller voller Visionen, Rätsel und Abgründe – und die Frage, wie viel Menschlichkeit bleibt, wenn künstliche Intelligenz zur größten Gefahr wird.

Page 1

Er stand vor seinem Dermacolator und konnte sich nicht entscheiden. »Süßes Kätzchen sucht geilen Kater«, hatte es in der PM geheißen, und das Holo hatte eine junge Frau gezeigt, deren Körper ganz mit weißem Katzenfell bedeckt war, nur die Nippel stachen rosa hervor – und unten konnte er einen dreieckigen Schatten erahnen.
Seinem Profil hatte sie sicher entnommen, dass er üblicherweise als Kater herumlief, doch sollte er sich ihr nun als Tiger, Löwe, Leopard oder Gepard nähern?
Schließlich entschied er sich für den Kontrast.
 
Die Leiche war übel zugerichtet. Kommissar Mayer konnte nicht erkennen, ob sich unter dem schwarzen Pantherfell ein Mann oder eine Frau verbarg, so sehr war das Gesicht verwüstet worden. Vorsichtig hob er die Plastikdecke an, die den Unterleib bedeckte.
»Ein stadtbekannter Playboy«, bestätigte einen Moment später Kommissarin Melanie Winter seine erste Einschätzung; die körperlichen Attribute dieses Herren waren sicher Ergebnis einer Superior-OP. »Seinem Web-Profil nach hat er sich regelmäßig mit Damen der besseren Gesellschaft getroffen, die wie er auf heiße Nächte standen. Die letzte war eine weiße Katze. Ihr Profil ist absolut professionell verschleiert, an die kommen wir nicht ran.«

Page 2

 
»Lieber Kommissar Mayer, es ist uns eine Ehre, dass Sie live in unserem Celebrity-Channel über die Serienmorde berichten wollen, wo sie doch dafür bekannt sind, die Presse sonst zu meiden.«
»Presse ... nun ja. Es ist uns wichtig, die männliche Bevölkerung zu warnen, und die männliche Zielgruppe unserer Mörderin deckt sich ziemlich gut mit der Ihres Kanals ... Wir haben in den letzten zwei Jahren, also seit 2047, 24 Morde verzeichnet, einer bestialischer als der andere, und die Opfer waren immer Männer, die sich regelmäßig mit Frauen trafen.«
»Sollen denn nun alle Dates aufhören? Dürfen wir uns keine heißen Nächte mehr gönnen?«
»Nein, meine Liebe, so ist das nicht gemeint, und Sie als Transsexuelle sind sowieso nicht betroffen. Die Mörderin hat es nur auf Hetero-Männer abgesehen, die eher für ihre, nun sagen wir mal, Frauenverachtung bekannt waren oder dafür, Frauen auszunutzen oder zu misshandeln; wer nicht in diese Kategorie fällt, hat nichts zu befürchten. Solche Männer aber ...«
»Aber wie geht sie denn nun vor? Was sollen die potenziellen Opfer beachten?«

Page 3

»Sie nutzt stets die neueste Mode und aktuellen Techniken der Kosmetikindustrie. Als es in war, die Haut mit Mustern bekannter Gemälde zu verzieren, machte sie die Männer mit ähnlichen Mustern an. Das erste Opfer stand auf Impressionismus, sie hatte ihre Haut mit Motiven aus ›Impression – soleil levant‹ von Claude Monet bedeckt. Der zweite Mann mochte van Gogh und trug Sonnenblumen auf der Haut, sie köderte ihn mit dem ›Kornfeld mit Krähen‹. Und so ging es weiter. Seit es Mode ist, sich das Fell von Tieren auf die Haut zu applizieren, lockt sie die Männer mit weiblichen Tierschönheiten. Zuletzt verführte sie als weiße Katze einen Playboy, der dafür bekannt war, stets als Kater einer Großkatzenart unterwegs zu sein.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wer sie ist?«
»Wie denn? Die neuen Beauty-Techniken ermöglichen ja nicht nur, die menschliche Oberfläche nach Belieben zu gestalten, sie verändern auf Wunsch auch die Fingerabdrücke und die Gesichtskontur und verhindern den Austritt eigener DNA. Wer unerkannt bleiben will, kann dies heute leicht. Und im Umgang mit dem Netz muss sie ein absoluter Profi sein, meint unsere hochspezialisierte Profilerin und Webexpertin, Kommissarin Winter.«
»Könnten Sie der Mörderin nicht über ihr Motiv auf die Schliche kommen – um mal im Bild zu bleiben?«
»Männerhass? Schlechte Erfahrungen oder Traumatisierungen? Oder nur ein eher theoretisches, ein ideologisches Motiv? Leider wissen wir darüber gar nichts.«
 

Page 4

Sie musterte die nächsten drei potenziellen Opfer auf ihrem riesigen Wandmonitor. Das Interview von Kommissar Mayer hatte ihr gefallen. Er hatte keine Ahnung, und er würde sie niemals schnappen.
Das war auch gut so; ihre Liste von Frauenmisshandlern war lang; sie würde noch Jahre damit beschäftigt sein, an der Männerwelt zu rächen, was man ihrer Mutter angetan hatte. Lange genug hatte sie dafür gelernt und geschuftet und es nun geschafft, jetzt saß sie an der Quelle.
Sie entschied sich für den ältlichen Politiker, der so gerne als mächtiger Braunbär auftrat. Nachdem sie sich mit ihrem Dermacolator hergerichtet und ein aufreizendes Holo gemacht hatte, fehlte nur noch die persönliche Nachricht.
»Knuddeliges Knud-Mädchen sucht geilen großen Grizzly«, tippte Kommissarin Winter unter das Bild des Eisbärenmädchens.
»Das ist der elfte Todesfall in diesem Jahr durch Ersticken in einem brennenden Haus. Wir müssen herausfinden, wie das gemacht wird.« Der namenlose Mann vom Staatsschutz schlug mit der Faust auf den Tisch. »Die ersten acht Morde haben wir für Unglücksfälle gehalten. Wwahrscheinlich gibt es einige mehr, von denen wir nichts wissen. Und da wir nicht sicher sind, ob es bei uns nicht eine undichte Stelle gibt, habe ich diese Sonderkommission zusammengestellt aus erfahrenen Kriminalistinnen und Kriminalisten aus Dienststellen, in deren Bereich keiner der Vorfälle liegt.«
Kommissarin Winter nagte an ihrer Unterlippe. Ihr war noch unklar, was sie als Profilerin und IT-Expertin zur Aufklärung dieser Brandfälle würde beitragen können. Aufmerksam folgte sie den Erläuterungen des Referenten.

Page 5

»Wir wissen bisher nur, dass alle Opfer, fünf Männer und sechs Frauen, bei relativ harmlosen Bränden in ihren Häusern ums Leben gekommen sind. Eindeutig waren die Wohnungen von außen manipuliert worden, alle Rauchmelder waren ausgeschaltet und die Notstromaggregate lahmgelegt. Aber dennoch hätten fast alle herauskommen müssen. Es scheint, als hätten sie komplett die Orientierung verloren, seien in ihren eigenen Wänden orientierungslos umhergeirrt, als befänden sie sich in einem Labyrinth. Deshalb haben wir diesen Begriff als unverfänglichen Namen für diese Sonderkommission gewählt: Sie alle sind ab heute Mitglied der Soko Labyrinth
 
In dem Büro, das man ihr für die nächsten Wochen zugeteilt hatte, fasste Winter für sich noch einmal die wichtigsten bisherigen Erkenntnisse zusammen: Alle Opfer bekleideten herausragende Ämter in der Politik oder in Unternehmen, alle waren bekannt dafür, gegen den Einfluss ausländischer Regierungen oder Unternehmen auf die deutsche Wirtschaft zu agieren; die Motivlage schien klar. Die Obduktionen hatten keinerlei Hinweise auf Intoxinationen erbracht, die Opfer waren durchschnittlich gesund gewesen, eine medizinische Erklärung schien auszuscheiden.
Seufzend schaltete die Kommissarin ihren Rechner aus. Auf dem Bildschirm verblasste langsam das Symbol, das sich die Soko ausgewählt hatte: eine schematische Darstellung des berühmten Labyrinthes in der Kathedrale von Chartres. Winter stutzte. Sie wusste, dass dieses Labyrinth eigentlich nicht zu ihrem Fall passte, denn trotz seiner elf konzentrischen Kreise und 34 Kehren kam man unbeirrbar zum Zentrum. Es war kein Irrgarten; als solchen musste den bedauernswerten Mordopfern wohl ihre Wohnung erschienen sein. Aber das Bild erinnerte die Kommissarin an etwas, was sie einmal gesehen hatte. Schnell schaltete sie ihren Rechner wieder ein.
 
Bei der Besprechung am nächsten Nachmittag konnte sie der Soko eine Erklärung für die Orientierungslosigkeit der Opfer anbieten. »Das Schema des Labyrintes von Chartres erinnerte mich an einen alten Holzschnitt, der das knöcherne Labyrinth im Innenohr des Menschen darstellt: Auch da führen verschiedene Gänge in ein Zentrum. Und in diesem Zentrum sitzt unser Gleichgewichtsorgan. Ich habe noch gestern Abend Anfragen an die betroffenen gerichtsmedizinischen Institute gestellt, und auch wenn erst sieben geantwortet haben, scheint mir das Ergebnis eindeutig: In allen Fällen sind die Otolithen abgelöst und liegt ein Labyrinthhydrops vor, beides ausgelöst durch Einwirkung von außen. Die Opfer hatten nicht nur keinerlei Orientierungsvermögen mehr, sie litten an extremem Schwindel, wahrscheinlich auch Übelkeit, Ohrgeräuschen und eventuell Hörverlust.«

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